
Hufrehe gilt als eine der ernsthaftesten und zugleich komplexesten Erkrankungen in der Pferdemedizin. Ihr Verlauf ist tückisch, da sie sich oftmals zunächst unauffällig zeigt, jedoch binnen weniger Stunden dramatische Schäden im Hufapparat verursachen kann. Anatomisch betrachtet handelt es sich um eine Entzündung der Huflederhaut, jenes empfindlichen Gewebes, das Hufbein und Hornkapsel miteinander verbindet. Wird diese Verbindung gestört, kann das Hufbein absinken oder rotieren – eine schmerzhafte und potenziell irreversible Folge. Damit zählt Hufrehe zu den Erkrankungen, die jeder Pferdehalter kennen und ernst nehmen sollte. Denn selbst kleinste Versäumnisse in Fütterung, Haltung oder Früherkennung können gravierende Konsequenzen haben.
Hufrehe ist eine schwere Krankheit, die unbehandelt zu dauerhaften Schäden oder gar zur Unreitbarkeit des Pferdes führen kann . Dennoch kursieren unter Pferdebesitzern zahlreiche Mythen über ihre Entstehung, und auch die Behandlung ist komplexer, als viele annehmen. Moderne veterinärmedizinische Erkenntnisse zeigen, dass Hufrehe kein isoliertes Leiden, sondern das Ergebnis eines gestörten Zusammenspiels von Stoffwechsel, Ernährung, Belastung und genetischer Disposition ist.
Was genau ist Hufrehe?
Bei einer Hufrehe entzünden sich die sogenannten Lamellenstrukturen der Huflederhaut. Diese feinen Verbindungen zwischen Hufbein und Hornwand stabilisieren den gesamten Bewegungsapparat des Pferdes. Sobald hier eine Entzündung auftritt, wird die Blutzirkulation gestört, wodurch das empfindliche Gewebe anschwillt. Da der Huf durch die Hornkapsel fest umschlossen ist, entsteht ein immenser Druck, der das Gewebe weiter schädigt. Im schlimmsten Fall löst sich das Hufbein teilweise von der Hornwand und kippt – eine Komplikation, die oft mit starken Schmerzen, Fieber und deutlicher Lahmheit einhergeht.
Die Erkrankung kann an einem oder mehreren Hufen auftreten, häufig sind die Vorderhufe betroffen. Besonders gefährlich ist die chronische Form, bei der die Schädigung dauerhaft bestehen bleibt und der Huf sich anatomisch verändert. Hier ist eine vollständige Heilung kaum noch möglich, doch eine konsequente Therapie kann die Lebensqualität des Tieres deutlich verbessern.
Auslöser und Risikofaktoren
Stoffwechselstörungen und hormonelle Dysbalancen
Ein zentraler Auslöser sind Stoffwechselprobleme. Pferde mit Insulinresistenz oder Equinem Metabolischen Syndrom (EMS) sind besonders gefährdet. Auch das sogenannte Cushing-Syndrom (PPID) kann die Regulation des Zuckerstoffwechsels beeinträchtigen und so eine Hufrehe begünstigen. Durch eine dauerhafte Überversorgung mit Energie, kombiniert mit zu wenig Bewegung, gerät der Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht – der Blutzuckerspiegel bleibt dauerhaft erhöht, was zu einer Überlastung der feinen Blutgefäße in der Huflederhaut führt.
Fütterungsfehler und Fruktanbelastung
Ein weiterer Hauptfaktor liegt in der Ernährung. Im Frühjahr und Herbst enthalten Weidegräser besonders viel Fruktan – einen Zuckerstoff, den Pferde nur begrenzt verarbeiten können. Gelangt zu viel davon in den Dickdarm, entstehen Gärungsprozesse, bei denen Toxine freigesetzt werden. Diese Giftstoffe gelangen in den Blutkreislauf und lösen dort Entzündungen aus, die letztlich auch die Huflederhaut betreffen. Auch plötzliche Futterumstellungen, zu viel Kraftfutter oder Schimmel im Heu können gefährliche Reaktionen hervorrufen.
Mechanische Überlastung und Medikamente
Nicht jede Hufrehe entsteht aus Stoffwechselgründen. Auch eine ungleichmäßige Belastung – etwa wenn ein Pferd nach einer Verletzung ein Bein übermäßig entlastet und das andere überbeansprucht – kann eine sogenannte Belastungsrehe auslösen. Ebenso sind Nebenwirkungen bestimmter Medikamente bekannt, beispielsweise nach der Gabe hochdosierter Corticosteroide.
Kritische Betrachtung der Ursachen
Die Forschung zeigt, dass es selten eine einzige Ursache gibt. Vielmehr entsteht Hufrehe aus einer komplexen Kombination verschiedener Einflüsse: Fütterungsfehler, Bewegungsmangel, genetische Disposition und Haltungsbedingungen wirken häufig zusammen. In der Praxis ist es daher entscheidend, den gesamten Lebensstil des Pferdes zu analysieren, statt nur einzelne Symptome zu behandeln.
Symptome und Früherkennung
Die Anzeichen einer beginnenden Hufrehe sind subtil, aber deutlich, wenn man sie zu deuten weiß. Häufig wirkt das Pferd unruhig, schwitzt ohne Belastung oder zeigt plötzliche Bewegungsunlust. Typisch ist eine auffällige Schonhaltung: Das Pferd verlagert das Gewicht auf die Hinterbeine, um die Vorderhufe zu entlasten. Der Huf fühlt sich warm an, die Pulsadern an der Fessel schlagen stärker, und beim Versuch, die Hufe zu heben, reagiert das Tier empfindlich.
Je nach Schweregrad lässt sich die Lahmheit von leichtem Unbehagen bis hin zu vollständiger Bewegungsunfähigkeit beobachten. Ein erfahrener Tierarzt kann durch klinische Untersuchung, Palpation und Röntgenaufnahmen den Grad der Schädigung feststellen. Dabei ist Zeit ein entscheidender Faktor: Je früher die Behandlung beginnt, desto besser stehen die Chancen auf eine vollständige Genesung.
Eine kritische Beobachtung zeigt, dass viele Fälle von Hufrehe erst erkannt werden, wenn der Schaden bereits weit fortgeschritten ist. Oft werden erste Anzeichen als temporäre Lahmheit oder Muskelkater missinterpretiert. Hier besteht ein erhebliches Informationsdefizit in der Pferdehaltung, das durch Aufklärung und regelmäßige tierärztliche Kontrollen verringert werden könnte.
Moderne Behandlungsmöglichkeiten
Akute Therapie und Notfallmaßnahmen
In der akuten Phase steht Schmerzreduktion an erster Stelle. Entzündungshemmende Medikamente, Kühlung der Hufe und Stallruhe sind unverzichtbar. Das Pferd sollte auf weichem Boden stehen, um den Druck auf die Huflederhaut zu verringern. In vielen Fällen wird eine Diät eingeleitet, um die Stoffwechsellast zu reduzieren.
Spezialbeschläge und Huforthopädie
Nach der Akutphase kommt der Hufschmied ins Spiel. Je nach Grad der Schädigung kann ein orthopädischer Spezialbeschlag notwendig sein, um das Hufbein zu stabilisieren und die Belastung gleichmäßig zu verteilen. Es gibt verschiedene Beschlagsarten – von keilförmigen Polstern bis zu individuell angepassten Hufschuhen –, deren Auswahl immer in enger Absprache mit dem Tierarzt erfolgen sollte.
Fütterungs- und Bewegungsmanagement
Die Ernährung spielt eine Schlüsselrolle bei der Regeneration. Zucker- und stärkehaltige Futtermittel müssen drastisch reduziert werden, stattdessen wird hochwertiges, strukturreiches Heu in kleinen Portionen empfohlen. Bewegung darf erst dann wieder aufgenommen werden, wenn der Tierarzt Entwarnung gibt. Danach hilft kontrolliertes Schritttraining, die Durchblutung zu fördern und die Hufstruktur zu stärken.
Neue therapeutische Ansätze
Forschung und Praxis entwickeln stetig neue Methoden, um die Heilung zu unterstützen. Dazu zählen die Kryotherapie (gezielte Kältebehandlung der Hufe), regenerative Zelltherapien und spezielle Blutplasmabehandlungen, die Entzündungsprozesse hemmen sollen. Diese Verfahren sind noch nicht flächendeckend etabliert, zeigen jedoch in klinischen Studien vielversprechende Ergebnisse.
Langzeitmanagement und Rückfallprävention
Nach überstandener Hufrehe beginnt die eigentliche Herausforderung: das Verhindern eines Rückfalls. Eine konsequente Gewichtskontrolle ist entscheidend, ebenso wie regelmäßige Hufkontrollen. Pferde, die einmal Hufrehe hatten, gelten als dauerhaft gefährdet. Das bedeutet, dass Futterqualität, Weidezeiten und Belastung eng überwacht werden müssen.
Besonders kritisch ist die Zeit des Weidebeginns im Frühjahr. Pferde sollten nur langsam angeweidet werden, vorzugsweise am frühen Morgen, wenn der Fruktangehalt im Gras am niedrigsten ist. Auch die Haltung spielt eine Rolle: Offenställe mit ausreichender Bewegungsmöglichkeit fördern die Blutzirkulation und unterstützen die Stoffwechselgesundheit.
Langfristig ist Hufrehe kein Todesurteil, wohl aber eine dauerhafte Aufgabe. Die Zusammenarbeit zwischen Tierarzt, Schmied und Halter entscheidet darüber, ob das Pferd ein beschwerdefreies Leben führen kann. Dabei sollte man sich von unrealistischen Heilungserwartungen lösen – chronische Fälle erfordern Geduld, Disziplin und stetige Beobachtung.
Fazit
Hufrehe ist keine zufällige Erkrankung, sondern Ausdruck eines komplexen gesundheitlichen Ungleichgewichts. Sie erfordert ein tiefes Verständnis der physiologischen Abläufe, eine präzise Diagnostik und ein umsichtiges Management. Wer sie als ganzheitliche Herausforderung begreift, kann seinem Pferd langfristig ein lebenswertes Leben ermöglichen – jenseits kurzfristiger Symptombekämpfung und oberflächlicher Ratschläge.



